SEASON 02 – Olin


IN TRANSIT IM MUSEUM


Romain Crelier, Loris Mauerhofer, Nina Rieben und Emmanuel Wüthrich setzen sich auf je eigene Weise mit dem Zustand des Dazwischen auseinander. Ihre Werke unterscheiden sich formal stark, kreisen jedoch um ähnliche Fragen: Wie lässt sich Wandel sichtbar machen? Was entsteht im Moment der Unsicherheit – dort, wo Gleichgewicht verloren geht, aber neue Möglichkeitsräume aufscheinen?

Hier geht es nicht um reine Darstellung, sondern um ein Durchleben und Offenlegen von Übergängen – um den Versuch, das Unfertige, Fragile, Instabile erfahrbar zu machen.




  ROMAIN CRELIER


Im Innenhof des Museums zeigt Romain Crelier La Frontière – eine Eisskulptur, deren Umrisse auf den ersten Blick vertraut erscheinen mögen. Sie ruht auf einem farbig gefassten Holzsockel. Mit dieser Arbeit hinterfragt der Künstler unseren kulturellen Bezug zu Grenzen – Linien, die wir für selbstverständlich halten, die aber ihre Lesbarkeit verlieren, sobald sie aus ihrem Kontext herausgelöst werden.

Die Form des Kantons Bern, aus Eis nachgezeichnet, wirkt hier nicht sofort erkennbar. Ein politisch-geografisches Emblem wird unscharf, entgleitet – das vermeintlich Eindeutige zeigt sich als instabil.

Mit dem Material Eis konfrontiert Crelier das Flüchtige mit dem Tragen­den: die Zerbrechlichkeit des Moments mit der vermeintlichen Dauer der menschlichen Ordnung. Was als kollektives Symbol Dauer beansprucht, entpuppt sich als Konstruktion – abhängig von Kontext, Temperatur, Zeit.

Beim Schmelzen dieser vertrauten Form wird das Publikum zum Zeugnis eines Zerfalls. La Frontière zeigt nicht nur das Verschwinden – sie macht es spürbar. Und damit auch die Fragilität jeder Vorstellung von Identität.


  LORIS MAUERHOFER


Loris Mauerhofer arbeitet im Kleinen, mit einem leisen Formenvokabular. Seine Skulpturen entstehen aus Gussverfahren, aus gesammelten Fragmenten, aus hybriden Formen, die stets eine körperliche Nähe behaupten. Seine Werke balancieren zwischen Objekt und Skulptur, zwischen Zartheit und Widerstand, zwischen Erinnerung und Projektion.

Im Museum zeigt er reduzierte Konstruktionen aus Aluminium, Stahl oder Zinn ebenso wie skulpturale Miniaturen, die mit Textilien, Bronze oder einem einzelnen Mannequin-Arm überraschende Materialkombinationen eingehen.

Seine grosse Figure inclinée steht spannungsvoll neben kleineren Werken wie Mother and Child oder filigranen Bronzen. Auch seine Papierarbeiten – Can I? [A Thousand Times] – zeugen von einer Auseinandersetzung mit Spur, Abdruck und Präsenz. Überall zeigt sich Mauerhofers präziser Blick für das Fragile – und sein Gespür für Formen, die berühren, ohne laut zu sein.



  EMMANUEL WÜTHRICH


Wüthrich arbeitet mit dem Sichtbaren und dem, was gerade im Begriff ist, zu verschwinden. Seine Materialien sind oft zweckentfremdet: Backpapier, das im Ofen war; Cyanotypien, die aus Licht und Zufall entstehen; Blätter, die wie Fundstücke behandelt und in Serien arrangiert werden.

Seine Werke entstehen langsam – manchmal kontrolliert, manchmal aus dem Moment heraus. In den Cyanotypien (Mains, Jours) wie in den Tuschzeichnungen (Natures mortes) zeigt sich ein Spiel zwischen Zufall und Intention, zwischen Zeit und Licht.

Seine Bilder wirken wie eingefrorene Übergänge – sie tragen Spuren, Flecken, Schatten. Doch gerade diese Unschärfen geben ihnen ihre Tiefe. In Wüthrichs Arbeiten begegnet uns die Spur als poetisches Moment: das, was bleibt, wenn etwas vergangen ist.
 

  NINA RIEBEN


Nina Riebens Werke fordern die Aufmerksamkeit des Publikums heraus – sie sind nicht immer auf den ersten Blick als Kunst erkennbar. Eine vertrocknete Blume, ein liegengelassener Abendtaschen-Beutel, ein ausgebleichter Kapuzenpulli: ihre Objekte streifen das Persönliche, das Intime, doch immer mit einem Unterton von Ironie und Zweifel.

In ihren Arbeiten geht es um Fragmente – um das Nicht-Abgeschlossene, um das Leise, das aber dennoch Bedeutung trägt. Sie nennt das selbst einen «Romantizismus der Ungewissheit».

In der skulpturalen Arbeit Intention Ghosts (2021/2024) begegnen uns Wachsfiguren, bodennah aufgestellt, ohne Sockel, ohne klare Hierarchie. Sie stehen da wie Schattenwesen, wie stille Zeugen unerledigter Wünsche oder gescheiterter Versuche. Das Material – Wachs – verweist auf das Flüchtige, das sich nicht festhalten lässt.

Diese Figuren sind nicht lesbar im klassischen Sinn, sie verweigern narrative Klarheit. Doch genau darin liegt ihr Reiz: Sie eröffnen Räume, die durch Ambivalenz, Nichtwissen und flüchtige Präsenz geprägt sind. Der Transit erscheint hier als Gefühlszustand: zwischen Verlust und Möglichkeit, zwischen Leere und Geste.





IN TRANSIT IN DER HALLE


Nina Rieben, Romain Crelier und Flavio Hodel bespielen die ehemalige Güterhalle in einem Moment des Übergangs: Der Raum, bald wieder im Besitz der SBB, wird für kurze Zeit zu einem Ort künstlerischer Präsenz. Die gezeigten Werke bilden eine einmalige Konstellation, die sich dem Verschwinden bereits eingeschrieben hat. Das Publikum betritt einen Zustand des Innehaltens – einen Zwischenraum, in dem nicht nur die Arbeiten, sondern auch der Ort selbst in Bewegung geraten.



  NINA RIEBEN

Loose attempts of sorrow, 2022/2023

Hinter der scheinbaren Leichtigkeit der hängenden Stoffbahnen verbirgt sich eine dichte Schicht an Zeichen. Die textilen Elemente bilden eine Art Schwelle, die durchschritten wird – ein Durchgang, der zur Maison de Glace von Crelier führt. Noch vor dem Licht begegnet man hier den Strahlen Hodels, die durch das Gewebe schneiden: Worte, die sich auflösen, Sätze, die sich nicht festhalten lassen. In diesem Schwebezustand entstehen fragile Gesten des Trosts, Ansätze einer Trauerarbeit, die bewusst unvollständig bleiben. Der Übergang wird hier als Konfrontation mit Verlust erfahrbar – als Raum, den man bewohnen muss, ohne ihn aufzulösen.


  ROMAIN CRELIER

Maison de Glace, 2012 (neu gegossen für die Ausstellung)

Maison de Glace von Romain Crelier besteht aus zwei Elementen: einem Eishaust auf einem Betonsockel. Der Sockel, massiv und dauerhaft, verleiht dem Eis den Status eines Kunstwerks – und erhebt ein Material, das gemeinhin als flüchtig und fragil gilt.

Das Bild des Hauses, Sinnbild für Schutz und Beständigkeit, zerfliesst jedoch im Verlauf der Ausstellung. Die Veränderung ist Teil des Konzepts: Am Ende bleibt nur der Sockel – Träger einer Abwesenheit.

Die Betrachter:innen sind eingeladen, dieser unumkehrbaren Metamorphose beizuwohnen. Sie erleben, wie eine vertraute Form vor ihren Augen verschwindet. Die Skulptur stellt Fragilität nicht dar – sie vollzieht sie.

In dieser radikalen Geste macht Crelier das Verschwinden selbst zum Kern seiner Arbeit – und das Erinnern zum eigentlichen Ort der Skulptur.


  FLAVIO HODEL

Gerridae, 2025

Hodel zeigt eine Arbeit im Prozess: bewegte Lichtprojektionen treffen auf Fragmente, die sich dem Zugriff entziehen. Wo früher Projektoren statisch auf Gipsstücke trafen, bewegt sich das Licht nun frei – ein oszillierender Blick, der zwischen Stillstand und Bewegung pendelt. Diese Unschärfe erzeugt Orientierungslosigkeit, aber auch Offenheit.

Formen lösen sich auf, verwandeln sich in abstrakte Bilder. Die Ränder werden zu Schwellen. Leerstellen entstehen, die nicht als Mangel erscheinen, sondern als Einladung, weiterzudenken. Hodels Arbeit verschiebt die Wahrnehmung: Was wie Bruch wirkt, entpuppt sich als Übergang.


In der Halle antworten die drei Positionen einander auf leise Weise. Die Werke bilden keine feste Ordnung, sondern eine fragile Bewegung – eine Choreografie des Übergangs. Sie lassen eine beunruhigende Offenheit zurück: als würde das Dazwischen selbst zur Substanz. Ein Raum, der irritiert – und gerade darin Möglichkeiten eröffnet.


  KURATION

Salome Bänziger und Meagane Zurfluh


  GRAFIK

Marc Lieberherr Studio


Ein kuratorischer Text von Salome Bänziger und Meagane Zurfluh.

03.10. – 05.10.2025